Letzter Brief an Carl Griese

(über seine Weltreisen usw.)

 

Karlsruhe, Südendstr. 6, den 7. Juni 1915

Lieber Carl !

Wann sieht man Dich mal hier? In den Sommerferien? Ich bin noch immer nicht fertig mit meinen Reisepapieren, da ich mich schon so lange auf der anderen Seite der Erde herumtrieb und dadurch meine Reichsangehörigkeit verloren habe. Jetzt haben sie kürzlich dieses dumme Gesetz endlich aufgehoben und ich denke, ich kann nachträglich badischer Staatsangehöriger werden. Die Sache ist nämlich die, in allen den von mir entdeckten Ländern braucht man nie irgend ein Papier oder Ausweis. Man wird nach den Vornamen genannt, ich also Willy, oder mit einem Titel versehen, so hieß ich ich z.B. in Neuseeland Professor Andresen. Da ich seit fast 13 Jahren völlig militärfrei bin, hatte ich gar kein Bedürfnis, mir immer wieder Papiere zu beschaffen; zumal sehr oft gar keine deutschen Vertreter vorhanden waren oder diese oft dänische oder englische Kaufleute waren.

Wenn nicht der wilde Krieg mir in die Quere gekommen wäre, hätte es auch gar nicht nötig getan, aber so war ich festgenagelt in Basel als ich gerade nach Paris sollte, um etliche kleine Barone und Baroneßchen abzumalen, von denen ich früher schon mal etliche angefertigt hatte, dann noch verschiedene Aufträge in Haag, Amsterdam und in London. Aber der Krieg brachte alles zum Schluß, und ich konnte nicht mal von der Schweiz nach Deutschland reisen ohne Papiere, bis mir der deutsche Consul dort die Sache doch provisorisch arrangierte und die Frau Consul mich sogleich ankeilte für einen kleinen Bismarck zu einem Kunst-Basar in Basel z. Besten der bedürftigen deutschen Kriegerfrauen und Kinder in Basel.

Ich habe jetzt gerade einen großen Bismarck in Arbeit, natürlich farbig, damit es etwas ganz anderes wird wie die Union Bilder. Ich hatte mir für mein englisches Publikum und dessen mir wohl bekannten Geschmack eine ganz besondere Mache von Portraits ausgeklügelt und fand damit ungeheueren Beifall. Eine Art kolorierte Zeichnung (Aquarell). Die Englishmen lieben water colours und nicht zu große Bilder und mäßige Preise. Also ich machte meist Kinder-Portraits in Lebensgröße, aber nur Kopf und leicht angedeutete Schultern und mit Farbe und meiner Patentausführung gab es sehr zarte recht künstlerische Gebilde, viel schöner wie Pastell und auch handlicher, da meine Bilder vollkommen fixiert waren und ewig dauerhaft.

Mit meiner großen Übung im Zeichnen konnte ich stets in drei kurzen Sitzungen á 1 - 1¼ Stunden fertig werden und die Bilder zu etwa 150 Mk., 7-10 Pfund liefern, was zu billig war und mir trotzdem bei der Fixigkeit doch eine gute Reisekasse lieferte. Nur ist dabei zu bedenken, daß in Australien und Neuseeland doch in den wenigen größeren Städten bald die Kunstfreunde abgegrast waren und nie eine dauernde Kundschaft zu heben war wie z.B. in Städten wie Hamburg oder Berlin.

Manchmal gings besonders flott von der Hand, wenn ich z.B., wie oft, bei den Leute hauste. Sie schickten mir dann einen Motor und ich fuhr 50 - 100 Meilen in den Busch zu den reichen Schafkönigen, wo ich dann von einer Familie zur anderen spediert wurde und gleich die ganze Ahnengalerie von Urgroßmutter bis zum Steckkissenbaby anfertigte. In einer Familie in Neuseeland machte ich z.B. 25 Portraits, in machen 15 - 20. Einmal machte ich sicher einen Rekord, wie die Engländer sagen, indem ich 21 Portraits in 18 Tagen fertig machte. Na, so was spürt man aber in den Knochen, aber nett wars doch und alle sorgfältig ausgeführt, keine moderne Schmierage, was bei Portraits auch nicht zulässig ist.

Du wolltest wissen, wo ich mich überall herumgetrieben hätte ? Also eigentlich in aller Welt. Meistens aber in wärmeren Klimaten, da ich den Winter recht unangenehm finde, und weil ich mein Geschäft ja immer bei mir habe, wäre es ja töricht, nicht die Gelegenheit zu nutzen. Also in England besuchte ich, da ich London, Liverpool und Southampton schon vorher genau kannte, mehr die kleineren oder vielmehr Provinzstädte, manche auch recht groß, wie z.B. Norwich mit über 300.000 Einwohnern, aber doch verhältnismäßig alte Orte, kein Leben wie in Deutschland in gleich großen Nestern. Da es alles kirchliche Bischofssitze sind mit uralten stattlichen Cathedralen, nennt man solche Städte Cathedral-Towns. Es ist natürlich sonntags stinkend langweilig und vom wirklich frommen Volk wird nie was verdient, doch sind immer noch in jedem Nest eine Reihe kunstbegeisterter Männer und meine Ausstellungen hatten jedesmal einen großen Zulauf, da in der Portraitbranche überall nur sehr mäßiges Zeug fabriziert wurde, besonders von weiblichen Wesen, sogenannten Malweibern, die weder zeichnen noch malen gelernt hatten. So war ich in Chester, einer uralten Stadt nahe Liverpool.

In Preston, in Bolton nahe Manchester, Blackburn und Blackpool und St. Anne, Southport und Birkdale (nördlich von Liverpool) in Plymouth, Norwich und oft in London. Über See beglückte ich Canada, St. John und Montreal, Californien, San Franzisko, New York und Boston. - In der Süd-See Honolulu mehrere Male, Tahiti und die Marquesas-Insel, die Paumotu der niedrigen Inseln und die Cook-Islands, Samoa, Fiji, und Tonga-Inseln, New-Seeland (Wellington, Aukland, Christchurch, Dunedin, usw.).

In Christchurch lebte ich mehrere Jahre bei einem Freund, dem Bürgermeister. Wir malten, photographierten, vergrößerten zusammen, spielten Grammophon und Croquet, fischten Aale und allerlei Seefische und ich malte neben zahlreichen Portraits noch eine ganze Reihe von Bildern, teilweise in antik pompejanischen Styl. - In Australien lebte ich meistens in Botany bei Sydney und in Melbourne. Dann auch in Hobart in Tasmania (Van-Diemens-Land), wo ich lange mitten im Busch saß und Portraits malte, in Wirklichkeit umgeben von fröhlichen Riesen-Känguruhs, kleinen Wallabies, großen Giftschlangen und Tasmanischen Tigern, eine Art Tiger-Hyänen-Hund.

In Süd-Afrika beglückte ich Capstadt und Durban in Natal mehrere Male und ebenso etliche Male Montevideo und Rio de Janeiro in Brasilien. Dreimal fuhr ich um's Cap Horn, einmal sogar per kleinem englischem Segelschiff, die "Letterewe" in 120 Tagen von Wellington nach London. Auch in der Südsee auf einer ewig lecken kleinen Barketine "Tropic Bird" nur etwa 250 Tons und einer Canaka Crew v.d. Cook-Inseln. Wir segelten und pumpten von St. Franzisko durch die ganze Südsee mit der stets fidelen eingeborenen Mannschaft aus Aitutaki. Schließlich war der oder die Lecks alle geschlossen, wahrscheinlich durch Dreck oder zugewachsen. Der Negerkoch kochte sehr gut, sogar Sauerkraut an Bord. Nur ein junger deutscher Matrose an Bord, der leider schon 3 Tage nach der Abfahrt von San Franzisko über Bord gewaschen wurde und vor unseren Augen jämmerlich ertrank.

Ich bin etwa acht- oder neunmal um die Erde gefahren; also der reinste fliegende Holländer. Ich habe also meine Abstammung von der Wasserkante nicht verleugnet. - In Honolulu und auf San Franzisko, auf Samoa, in Sydney und Neu Seeland habe ich eine ganze Reihe von meinen alten Marinekollegen und verflossenen Einjährigen getroffen. Mache als Capitain oder Kümmel- oder Hotelwirte oder als Cocosnußpflanzer oder Copraschiffer zwischen den Inseln der Südsee.

Zur Zeit in unnatürlicher Ruhe im alten Nest sitzend bin ich mit Pflaster und Papier und 4 Katzenfellen beklebt und bedeckt, um einzelne Körperteile recht heiß zu halten. Neue Methode unseres Hausarztes, der prahlt, er kenne mein Leiden und vermißt sich, mich zu kurieren. Außerdem die Klauenseuche oder Rheumatismus, überall herumkriechend im Körper, dem ich jetzt mit einer Erdbeer-Kur zu Leibe gehe. - Hoffentlich hilft's und ist jedenfalls recht wohlschmeckend.

Na nun weißt Du ja Bescheid all about my travelling time.

Es ist wunderschön warm jetzt, besonders mit meinen Katzenfellen, aber ich bin ja tropisch trainiert.

Herzl. Gruß an alle Mann bei Euch
vom Onkel Willy


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